»Wer Jude ist, bestimme ich!«
Für Antisemit_innen ist es egal, ob sich jemand selbst als jüdisch sieht oder nicht. Sie nehmen sich heraus, allein zu entscheiden, wer für sie »ein Jude« ist. Menschen mit jüdischen Vorfahren oder Angehörigen jüdischer Familien werden dann pauschal negative Eigenschaft zugeschrieben.
Antisemit_innen erklären auch einzelne Menschen zu »Juden«, weil sie angeblich bestimmte jüdische Eigenschaften oder Charakterzüge hätten. Diesen wird dann vorgeworfen, ihr »jüdisch sein« geheim zu halten. Deshalb kann Antisemitismus sich in manchen Fällen auch gegen Menschen richten, die in Wirklichkeit gar nichts mit dem Judentum zu tun haben. Wenn einzelne Juden_Jüdinnen hingegen überhaupt nicht ins antisemitische Weltbild hineinpassen, sind sie in den Augen der Antisemit_innen eine einzigartige Ausnahme oder »keine richtigen Juden«.
Wo kommt es her, wann ist es entstanden und warum?
Der Ausspruch »Wer Jude ist, bestimme ich« wird Hermann Göring zugeschrieben. Er war ein hochrangiger Nazi-Politiker, Kriegsverbrecher und mitverantwortlich für den Holocaust. Die Nazis legten in ihrem Rassenwahn angeblich biologische Kriterien fest, um zu bestimmen, wer Jude_Jüdin sei. So entschieden sie, welche Menschen vernichtet werden sollten und wer unter welchen Bedingungen weiterleben durfte. Diese Fremdbestimmung hält sich bis heute in antisemitischen Weltbildern.
Auch schon im mittelalterlichen Antijudaismus finden sich die Wurzeln dieser antisemitischen Fremdzuschreibung. Der Kirchenreformator Martin Luther behauptete zum Beispiel, es gäbe eine bestimmte jüdische Wesensart. Die Möglichkeit, das »jüdisch sein« zum Beispiel durch Konversion abzulegen, wurde Juden_Jüdinnen so schon damals abgesprochen.
Was daran ist antisemitisch?
Es ist in vielerlei Hinsicht antisemitisch, wenn andere Personen sich herausnehmen zu entscheiden, ob jemand jüdisch ist oder nicht. Menschen wird so das Recht auf Selbstbestimmung über ihre eigene Identität genommen. Antisemit_innen interessieren sich nicht dafür, ob jemand sich selbst als jüdisch versteht.
In der Fremdzuschreibung »Jude« wird außerdem ein fester Katalog von Merkmalen angenommen, die darüber entscheiden, ob eine Person jüdisch ist oder nicht. Menschen werden dann in Form von (vermeintlicher) Herkunft, Aussehen oder angeblichen Wesensmerkmalen klassifiziert. So glauben Antisemit_innen, von vermeintlichen Charaktereigenschaften eines Menschen auf eine jüdische Abstammung schließen zu können.
Umgekehrt geht damit die antisemitische Annahme einher, dass alle Juden_Jüdinnen bestimmte negative Charakterzüge teilen würden. Das wird natürlich der realen Vielfalt jüdischer Lebensrealität nicht gerecht. Denn diese sind genau so unterschiedlich und individuell wie verschiedene Menschen eben sein können.
Wo tauchen diese Narrative und Motive heute auf?
In der Corona-Pandemie wurde z. B. Bill Gates von Antisemit_innen zum Juden erklärt. Als vermeintlich jüdischer »Strippenzieher« habe er die Corona-Pandemie inszeniert, um die Menschheit zu unterdrücken. Aufgrund seines Reichtums und seines Engagements in der Weltgesundheitsorganisation wird er zum Ziel antisemitischer Verschwörungserzählungen.