Antisemitismus
WTF?

Alle Juden sind reich?

Alle Juden sind reich?

Das Motiv des »reichen Juden« schürt das Vorurteil, dass Juden_Jüdinnen reich und finanziell überlegen seien. Sie werden als raffgierig und skrupellos dargestellt, als »Geldjuden«, deren Habgier keine Grenzen kenne und die – für ihren Profit – sogar über Leichen gingen.

Wo kommt es her, wann ist es entstanden und warum?

Im Mittelalter wurden Juden_Jüdinnen in gesonderte Judengassen und Judenvierteln verdrängt und zusätzlich durch Kleidervorschriften und Markierungen von der Mehrheitsgesellschaft getrennt. Von den wichtigsten Wirtschaftszweigen, der Landwirtschaft und dem Handwerk, wurden sie ausgeschlossen. Sie konnten sich eine Existenz in einer Nische aufbauen, die durch das christliche Zinsverbot entstand, das für sie nicht galt. Im Geldverleih und manchen anderen Bereichen des Handels wurden sie geduldet. Mit der Entwicklung der Geldwirtschaft und dem Aufweichen des Zinsverbots entstand eine Konkurrenz zu christlichen Geldverleiher_innen. Das Stereotyp des jüdischen Wucherers verbreitete sich. Eine vermeintlich enge Verbindung des Judentums zum Geld ist seitdem zentraler Bestandteil antisemitischer Hetze.

Was daran ist antisemitisch?

Das Motiv unterstellt, dass Juden und Jüdinnen grundsätzlich reich und gierig seien und durch ihr Geld besondere Macht hätten. Problematische wirtschaftliche Strukturen und Auswirkungen werden pauschal »den Juden« zugeschrieben, obwohl einer kapitalistischen Wirtschaft immer Gewinnstreben zugrundeliegt. Anstatt das kapitalistische Wirtschaftssystem als solches kritisch zu analysieren, personalisiert das »Reiche Juden«-Motiv komplexe Zusammenhänge. So werden Probleme des Wirtschaftssystems vermeintlich »erklärbar«. Tatsächlich werden reale Probleme unsichtbar gemacht und zudem Jüdinnen_Juden als mächtige Bedrohung gezeichnet, denen »ehrlich arbeitende« Menschen ausgeliefert seien.

Die Idee »jüdischer« Macht und eigener Ohnmacht und ein Gefühl der Unterlegenheit zeigt den Kern des Antisemitismus: Juden_Jüdinnen werden als anders, bedrohlich und übermächtig gegenüber der Mehrheitsgesellschaft dargestellt, obwohl sie von dieser seit Jahrhunderten unterdrückt und ausgegrenzt wurden. Der wirtschaftliche Erfolg einzelner Juden_Jüdinnen wird schließlich nicht anerkannt, sondern als Beleg für ihre Macht gedeutet.

Wie hat sich das Motiv weiter entwickelt?

Ein besonders krasses Beispiel für die bewusst antisemitische Darstellung des »reichen Juden« ist der nationalsozialistische Propagandafilm »Jud Süß«, der einen jüdischen Geldverleiher als absolut böse zeigt und ihn schließlich hinrichten lässt. 20 Millionen Zuschauer_innen sahen den Film aus dem Jahr 1940 im Kino. Andere NS-Propagandabilder betonten das »Parasitäre« durch den Vergleich mit Ungeziefer.

Wo taucht das heute auf?

»Der reiche Jude« ist bis heute eine Symbolfigur des Kapitalismus. Mit ihm wird ein abstraktes Wirtschaftssystem personalisiert »erklärt«. Ein Beispiel ist die Darstellung von Finanzspekulant_innen als Heuschrecken oder »Blutsauger«. Ein Gewerkschaftsmagazin stellte US-Firmen als Moskitos mit langer Nase und Geldkoffer dar, die massenhaft deutsche Industrieunternehmen attackierten und nannte sie »Aussauger« und »Plünderer«. Damit sollten Auswüchse des Finanzmarktes kritisiert werden. Tatsächlich ist die Darstellung anschlussfähig an die antisemitische Erzählung von blutsaugenden Parasiten.

Ein Demonstrant der Occupy-Wall-Street-Bewegung äußerte seine »Kritik am Finanzsystem« auf einem Schild mit der Aufforderung »Googelt Jüdische Millionäre«.

Teilweise werden auch einzelne reiche Juden direkt als Feindbild genutzt – wie der ungarisch-amerikanische Milliardär George Soros, der als vaterlandsloser Verschwörer gegen europäische Nationen dargestellt wird.

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