Wer ist hier nachtragend? Der Vorwurf der Rachsucht
Der rachsüchtige Jude ist ein klassisches antisemitisches Stereotyp. Juden_Jüdinnen werden als unversöhnlich und nachtragend dargestellt. Ihr heftiges Verlangen nach Rache würde Friedensprozesse erschweren. Versöhnung sei deshalb unmöglich, weil Juden_Jüdinnen diese verweigern würden. Ihnen wird unterstellt, dass sie einmal begangene Kränkungen nicht verzeihen und Angriffe mit doppelter Münze heimzahlen.
Wo kommt es her, wann ist es entstanden und warum?
Der Vorwurf der Rachsucht findet sich bereits im christlichen und mittelalterlichen Antijudaismus. Dabei steht Rachsucht in einer ganzen Reihe von negativen Eigenschaften, mit denen Juden_Jüdinnen generell als lästige Unruhestifter der Gemeinschaft dargestellt werden. Juden_Jüdinnen werden seit jeher für verschiedene gesellschaftliche Konflikte verantwortlich gemacht. Sie seien der eigentliche Grund, warum das sonst harmonische Zusammenleben nicht funktioniere. Rachsucht ist dabei eine Eigenschaft, die Juden_Jüdinnen angelastet wird, um ihnen einseitig die Schuld an Kriegen, Streitereien und Auseinandersetzungen zu geben.
Was daran ist antisemitisch?
Das ist antisemitisch, weil Juden_Jüdinnen als Gruppe eine bestimmte Charaktereigenschaft vorgeworfen wird. Sie werden nicht mehr als individuelle Menschen wahrgenommen. Ihnen wird unterstellt, dass sie alle neben ihrer Religion bestimmte negative Charakterzüge teilen, mit denen sie angeblich dem friedlichen Zusammenleben schaden.
Das Motiv des rachsüchtigen Juden kann auch dazu dienen, den eigenen Antisemitismus zu verharmlosen. Schuld an bestimmten Konflikten sind dann nicht die Antisemit_innen und ihre Übergriffe gegen jüdische Menschen, sondern plötzlich die Juden_Jüdinnen selbst, weil sie sich gegen Antisemitismus wehren. Berechtigte Verteidigungen gegen Diskriminierung und Angriffe werden auf diese Art als rachsüchtiges und übertriebenes Verhalten dargestellt.
Wo taucht das heute auf?
Zum einen taucht das Motiv des rachsüchtigen Juden häufig in Bezug auf Israel auf. Militärische Aktionen und andere Handlungen der israelischen Regierung werden nicht als diskutierbare politische Entscheidungen wahrgenommen, die von unterschiedlichen Menschen getroffen werden. Stattdessen wird ganz Israel ein unversöhnliches und rachsüchtiges Verhalten vorgeworfen. Der Grund dafür wird dann darin gesehen, dass Israel ein jüdischer Staat mit vermeintlich jüdischen Eigenschaften sei. So sehen Antisemit_innen die alleinige Schuld an den gescheiterten Friedensprozessen im Nahen Osten bei Israel.
Zum anderen taucht das Motiv immer wieder auf, wenn jüdische Menschen Entschädigungsforderungen für den Holocaust an Deutsche stellen. Es wird behauptet, der Nationalsozialismus wäre eine abgeschlossene Vergangenheit und es hätte schon genug Wiedergutmachung gegeben. Die Forderungen werden dann als Folge der Rachsucht von Juden_Jüdinnen dargestellt. So drücken sich Antisemit_innen davor, die andauernde Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus anzuerkennen.