Antisemitismus
WTF?

Kein Urlaub an der Ostküste

Kein Urlaub an der Ostküste

Das Motiv der Ostküste zeichnet ein Bild von mächtigen Eliten im Osten der USA. Es bezieht sich auf die Konzentration wichtiger Institutionen und angesehener Universitäten zwischen der US-Hauptstadt Washington und den Finanz- und Kulturzentren wie New York, Boston und Philadelphia. Dabei geht es nicht um Geographie, sondern um in New York ansässige jüdische Organisationen, die für alle möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen verantwortlich gemacht werden. »Ostküste« ist auch ein Codewort für das angeblich von »den Juden« dominierte internationale Finanzsystem mit der New Yorker Börse im Zentrum.

Wo kommt es her, wann ist es entstanden und warum?

»Die Ostküste« steht in Verbindung mit klassischen Erzählungen von einer »jüdischen Weltmacht«, dem »internationalen Judentum« und Finanzkapital bzw. »raffendem Kapital«. Hinter letzterem steht die Idee, dass es neben einem vermeintlich guten »schaffenden« Industriekapital ein »parasitäres Finanzkapital« gäbe, das ehrliche Arbeiter_innen und Unternehmen ausnutze. Die nationalsozialistische Propaganda nutzte dieses Motiv, um Jüdinnen_Juden die Schuld für negative Auswirkungen des Kapitalismus zuzuschieben und die Bevölkerung gegen Juden_Jüdinnen aufzuhetzen.

Was daran ist antisemitisch?

Das Motiv unterstellt, dass Jüdinnen_Juden Kontrolle und Macht über andere, das Finanzsystem oder gar die ganze Welt hätten. Hinter der (jüdisch gedachten) Ostküste stehen antisemitische Stereotype vom mächtigen »reichen Juden«, »Geldjuden«, »jüdischem Kapital« und dem »Weltjudentum«, ohne dass diese Begriffe fallen müssen. Anstatt das Wirtschaftssystem kritisch zu analysieren, wird Jüdinnen_Juden die Schuld an dessen problematischen Auswüchse zugeschoben. Man redet auch von strukturellem Antisemitismus, wenn gegen »die Ostküste« oder »die Hochfinanz« gehetzt wird, da negative Auswirkungen abstrakter wirtschaftlicher Strukturen mindestens indirekt mit »den Juden« identifiziert und sie dafür verantwortlich gemacht werden.

Wo tauchen diese Narrative, Motive, Bilder heute auf (aktuelle Beispiele)?

Sprachliche Codes wie »die Ostküste« werden vielfältig genutzt, um das Stereotyp vom mächtigen, raffgierigen, »reichen Juden« und Strippenzieher zu vermitteln und dabei Strafanzeigen z.B. wegen Volksverhetzung oder bei Musikstücken Indizierungen zu vermeiden. Im Rechtsrock sind solche Codes besonders beliebt, finden sich aber auch auf Demos von Neonazis oder in Teilen der globalisierungskritischen Bewegung, wenn Protestierende die abstrakte »Macht der Finanzmärkte« personalisieren anstatt diese als strukturelles Problem zu begreifen.

SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein bezeichnete das Holocaust-Mahnmal 1998 als »Schandmal« und behauptete, man wage es nicht, »die Mitte Berlins Mitte freizuhalten von solch einer Monstrosität« aus »Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand«, womit er jüdische Anwälte von »der Ostküste« meinte. Anstatt die Monstrosität des Holocaust zu benennen, benannte er ein Mahnmal gegen diese Tat so. Noch 2017 sprach Björn Höcke (AfD) vom »Denkmal der Schande«. Das Feindbild mächtiger Juden, die vermeintlich vom Holocaust profitierten, besteht fort.

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