Israelbezogener Antisemitismus
Israel wurde als ein Staat zum Schutz der Juden_Jüdinnen gegründet und ist heute der einzige jüdische Staat auf der Welt.. Jüdinnen_Juden wurden schon jahrhundertelang verfolgt, ausgegrenzt und vertrieben. Es gab lange Zeit keinen Staat, in dem Jüdinnen_Juden in Sicherheit leben konnten. Daher wanderten zwischen 1880 und 1928 viele Jüdinnen_Juden in die USA oder Großbritannien aus, in denen sie zwar immer noch viel Diskriminierung ausgesetzt waren, aber nicht mehr vom Staat aus verfolgt wurden. In vielen anderen Ländern hatten Jüdinnen_Juden zu dieser Zeit weniger Rechte und vor allem nicht den gleichen Schutz durch das Gesetz oder die Polizei, sodass viele Menschen getötet wurden oder in sehr ärmlichen Verhältnissen leben mussten.
Gleichzeitig gab es den Gedanken von zionistischen Bewegungen, einen jüdischen Staat zu gründen. Dieser sollte auf dem damaligen Gebiet von Palästina liegen. Palästina war zu dieser Zeit eine britische Kolonie. Viele Jüdinnen_Juden spürten auch in ihrer neuen Heimat die Verfolgung und Diskriminierung immer stärker und 1947, nach dem Holocaust, kündigte Großbritannien schließlich an, sich aus Palästina zurückzuziehen. Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel gegründet.
Die Vereinten Nationen legten fest, dass zwei Staaten entstehen sollten, Israel und Palästina. Die jüdischen Bewegungen nahmen diesen Vorschlag an, die Führung Palästinas lehnte diesen jedoch ab. Daraus folgte ein Bürgerkrieg zwischen Araber_innen und Jüdinnen_Juden. Bis heute gibt es in Israel keinen anhaltenden Frieden.
Aber warum gibt es bis heute eigentlich überall so viele Diskussionen um Israel? Dies liegt vor allem daran, dass Antisemitismus mit der Gründung Israels natürlich nicht einfach aus der Welt verschwunden ist. Israel bietet zwar einen beschützenden Ort für viele Jüdinnen_Juden, in vielen Ländern werden sie jedoch immer noch verfolgt, ausgegrenzt und diskriminiert. Und auch Israel wird angegriffen und es gibt viele Konflikte, neben dem immer noch bestehenden Bürgerkrieg1.
Mit der Gründung des israelischen Staates sind auch neue antisemitische Motive entstanden, die sich auf Israel beziehen. Alte Motive haben sich verändert, sind aber immer noch in allen Teilen unserer Gesellschaft zu finden.
Antisemitismus, der sich auf Israel bezieht, kommt auf zwei verschiedenen Ebenen vor. Zum einen werden viele antisemitischen Motive jetzt auf Israel bezogen, da Israel als Stellvertreter für alle Jüdinnen_Juden auf der Welt angesehen wird. Hinter diesen Motiven stehen oft Verschwörungserzählungen um eine jüdische Weltverschwörung, die angeblich von Israel ausgeht.
Neben dieser Weiterentwicklung von schon bestehenden Motiven sind einige antisemitische Motive aus dem Hass auf eine moderne, demokratische und vielfältige Gesellschaft entstanden. Israel orientiert sich in seiner Politik an den Werten der Aufklärung, Freiheit und Gleichheit. Diese Werte stehen für ein modernes Denken, dass von antidemokratischen Organisationen und Bewegungen abgelehnt wird. Hier werden also schon bestehende antisemitische Motive mit neuen antidemokratischen Motiven vermischt.
Wenn wir über auf Israel bezogenen Antisemitismus reden, kommt auch schnell das Thema »Kritik« an Israel auf. Viele antisemitische Motive verstecken sich hinter dieser vermeintlichen Kritik an einem Staat. Durch diese Tarnung werden die eigentlich antisemitischen Motive, die in weiten Teilen der Gesellschaft als Tabu gelten, wieder salonfähig.2
Der Unterschied zwischen auf Israel bezogenen Antisemitismus und einer Kritik an der staatlichen Politik von Israel ist, dass sich antisemitische Motive zwar auf den Staat Israel beziehen können, dieser da aber immer als jüdisches Kollektiv gesehen wird. Israel und »die Juden« werden hier also gleichgesetzt. Hier finden sich bei genauerem Hinsehen eindeutige antisemitische Motive. Außerdem ist gerade bei dieser »Kritik« wichtig zu fragen, warum gerade Israel so sehr in der internationalen öffentlichen Aufmerksamkeit steht wie kein anderes Land. Diese besondere Aufmerksamkeit liegt an antisemitischen Motiven, wie zum Beispiel dem der Rachsucht, also dem Stereotyp, Jüdinnen_Juden wären unversöhnlich und deshalb schuld an den langsamen Friedensprozessen.
Israelbezogener Antisemitismus wird von der Europäischen Union definiert als: »(d)as Abstreiten des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung[…]; (d)ie Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten erwartet, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet und verlangt wird;[…] Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten; (d)as Bestreben, alle Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen.«3
Die drei zentralen Kriterien, die hier formuliert werden sind Delegitimierung, Dämonisierung und Doppel-Standards. Bei der Frage, ob hinter einer vermeintlichen Kritik am Staat Israel am Ende nicht doch antisemitische Motive stehen, lässt sich der sogenannte Drei-D-Test anwenden, der diese Kriterien zur Grundlage der Bewertung macht:
- Doppelte Standards bedeuten verschiedene Ansprüche, die an Israel und andere Demokratien gestellt werden. Israel wird in der öffentlichen Diskussion sehr viel stärker betrachtet und kritisiert als andere Staaten.
- Delegitimierung meint das Absprechen des Rechts der Existenz Israels als jüdischer Staat.
- Dämonisierung schließlich meint zum einen den Vergleich der Politik Israels mit der der Nationalsozialisten, bei dem die Geschichte einfach umgedreht wird und Jüdinnen_Juden an sich als böse dargestellt werden. Zum anderen bedeutet Dämonisierung aber auch die Verallgemeinerung aller Jüdinnen_Juden in Bezug auf Israels Politik oder auch auf einzelne Ereignisse bezogen. Aber weder sind alle Jüdinnen_Juden kollektiv für Einzelne verantwortlich, noch leben alle Jüdinnen_Juden in Israel, und nicht alle Menschen, die in Israel leben, sind Jüdinnen_Juden.