Antisemitismus
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Islamischer Antisemitismus

Der islamische Antisemitismus ist eine Erscheinungsform des Antisemitismus, die sich im frühen 20. Jahrhundert entwickelt hat. Durch die Verbindung von islamischem Antijudaismus und dem europäischen modernen Antisemitismus entstand eine eigene Weltanschauung, die spezifische Kennzeichen und Charakteristika aufweist. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Muslim_innen allgemeinen antisemitisch sind. Der Islam an sich ist nicht antisemitisch. Aber es gab einige islamische Kräfte, die dazu beigetragen haben, einen Glauben herauszubilden, der stark von antisemitischen Aspekten geprägt ist.

Wie ist das zu verstehen? Wie auch der christliche Antijudaismus begründet sich der islamische Antijudaismus religiös. Beiden Formen ist gemeinsam, dass sich Jüdinnen_Juden vor Diskriminierung schützen konnten, wenn sie zum jeweiligen »wahren« Glauben konvertieren würden. Beide eint die Ansicht, dass alles Jüdische böse sei. Aber sie unterscheiden sich auch: Bei den Christ_innen wurden die Jüdinnen_Juden für den Tod ihres Propheten, Jesus, verantwortlich gemacht und als dunkle Macht damönisiert. Auf dieser Grundlage entwickelte sich der moderne Antisemitismus.

Im Islam hingegen hat sich der Prophet Mohammed zur Entstehungszeit im 7. Jahrhundert gegen das Judentum behauptet und in Kämpfen Jüdinnen_Juden getötet. Die Verbreitung des islamischen Glaubens fußte somit unter anderem auf der kämpferischen Stärke des Islam und der Schwäche des Judentums. Dies ging in die Heilige Schrift, den Koran ein. In ihm gibt es positive Stellen über Jüdinnen_Juden. Aber es gibt auch Stellen, an denen Jüdinnen_Juden vorgeworfen wird, die religiöse Lehre zu verfälschen, oder sie mit Tiermetaphern beschrieben werden. Sie seien Ungläubige und deshalb in der Auslegung natürliche Feinde der Muslim_innen.

Weil Religion und Politik vor der Moderne immer als eins galten, wurden in islamisch geprägten Ländern der Islam und die Interpretation des Korans zur politischen Ausgestaltung der Gesellschaft herangezogen. Die wohl bekannteste politische Einrichtung im ehemaligen islamischen Herrschaftsgebiet ist die sogenannte Dhimmis, eine auf dem muslimischen Rechtsverständnis fußende Regelung der Schutzbefohlenen. Darunter waren auch Jüdinnen_Juden gefasst, die nicht dieselben Rechte wie Muslim_innen hatten. Sie durften ihre Religion nicht öffentlich ausüben, hatten Kleidervorschriften und ihr Wort galt weniger als das von Muslim_innen.

In Verbindung mit dem modernen Antisemitismus wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im islamischen Antisemitismus die negativen Judenbilder des Christentums und des Islams vereint. Unterschiedliche Personen und Gruppen verbreiteten dieses Denken. Im ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina wirkte vor allem der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, welcher ein Verbündeter der Nationalsozialist_innen war. Dieser wollte einen judenfreien arabischen Staat errichten. Unter seinem Namen erschien 1937 das Dokument »Islam – Judentum«, das als erstes historisches Dokument des islamischen Antisemitismus gelesen werden kann. Es entstand mit Hilfe der Nazis, die es auch in mehrere Sprachen übersetzten und verbreiteten.

Die Nazis hatten das Ziel, den modernen und völkisch-rassistischen Antisemitismus in der islamischen Gemeinschaft durch Propaganda zu verbreiten. Als das keinen Anklang hatte, versuchten sie am islamischen Antijudaismus anzuknüpfen. Sie verbreiteten die Idee, dass der Prophet Mohammed und Adolf Hitler gleichermaßen gegen Jüdinnen_Juden kämpften und sie somit Verbündete wären. Auch der ägyptische Muslimbruder Sayyid Qutb veröffentlichte 1950 ein Dokument mit dem Namen »Unser Kampf mit den Juden«. Im weiteren Verlauf der Geschichte zeigte der Texte große Wirkung und trieb den islamischen Antisemitismus weiter voran.1

Jüdinnen_Juden werden einerseits als feige und unterlegen markiert, andererseits wird ihnen eine geheime Übermacht unterstellt. Das zeigt sich zum Beispiel in der Charta der Hamas, eine im Gazastreifen herrschende Terrorgruppe. Die Hamas porträtiert Jüdinnen_Juden im gleichen Dokument einerseits als feige und schwach, und macht sie anderseits für zwei Weltkriege verantwortlich. Sie hätten die Vereinten Nationen gegründet, um die Welt zu beherrschen.2

Außerdem herrscht im islamischen Antisemitismus das Bild vor, dass es sowohl Jüdinnen_Juden als auch Israel seit jeher auf die muslimische Gemeinschaft abgesehen hätten. Der islamische Antisemitismus malt ein allgemeines Bedrohungsszenario aus. Es geht darum, die Zerstörung des Islam zu verhindern. Das Besondere daran ist, dass die Vorstellung des drohenden Weltuntergangs mitgedacht wird, der nur abgewendet werden kann, wenn sich der Islam im Kampf gegen Jüdinnen_Juden behauptet.

Die größte Gefahr des islamischen Antisemitismus geht heutzutage von islamistischen Gruppierungen und Terroristen aus. Diese sehen sich in einem nicht endenden Verteidigungskrieg, in dem Muslim_innen um ihren Fortbestand kämpfen müssen. Deshalb rufen sie auch dazu auf, dass es die Pflicht aller Muslim_innen sei, sich daran zu beteiligen. Der Anschlag auf das World Trade Center in New-York-City am 11. September 2001 hatte eine antisemitische Stoßrichtung. Die Al-Kaida und dessen Führer Osama Bin Laden sahen sich in einem Krieg gegen den Westen und die sogenannte »Juden-Kreuzritter Allianz«. Auch der sogenannte Islamische Staat verbreitet islamischen Antisemitismus. Bei diesen Gruppierungen geht es nicht um ein politisches Ziel, sondern nur darum, Jüdinnen_Juden Schaden zuzufügen.

Verwendete Literatur

Bernstein, Julia (2019): »Mach mal keine Judenaktion!« Herausforderungen und Lösungsansätze in der professionellen Bildungs- und Sozialarbeit gegen Antisemitismus, Frankfurt am Main

Jikeli, Günther (2018): Muslimischer Antisemitismus in Europa. Aktuelle Ergebnisse der empirischen Forschung, in: Grimm, Marc/Kahmann, Bodo (Hrsg.): Antisemitismus im 21. Jahrhundert, Berlin/Boston, S. 113-133

Jikeli, Günther (2019): Antisemitismus in der Flüchtlingsdebatte und unter Geflüchteten. In: Samuel Salzborn (Hrsg.): Antisemitismus seit 9/11. Ereignisse, Debatten, Kontroversen. Nomos, Baden-Baden, S.301-326

Kiefer, Michael (2010): Islamisierter Antisemitismus, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus, Bd. 3, Begriffe, Theorien, Ideologien, Berlin/New York, S. 133-136

Küntzel, Matthias (2002): Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg, Freiburg.

Küntzel, Matthias (2017): Islamischer Antisemitismus als Forschungsbereich. Über Versäumnisse der Antisemitismusforschung in Deutschland, in: Grimm, Marc/Kahmann, Bodo (Hrsg.): Antisemitismus im 21. Jahrhundert, Berlin/Boston, S. 135-155

Küntzel, Matthias (2018): Islamischer Antisemitismus – was ihn ausmacht und wie er entstand, URL:http://www.matthiaskuentzel.de/contents/islamischer-antisemitismus%20was%20ihn%20ausmacht%20und%20wie%20er%20entstand

Saggerer, Alina (2019): Der Antisemitismus hinter dem islamistischen Attentat in Paris, In: Samuel Salzborn (Hrsg.): Antisemitismus seit 9/11. Ereignisse, Debatten, Kontroversen. Nomos, Baden-Baden, S.269-284

Salzborn, Samuel (2014): Die Genese des Antisemitismus in Europa, in: ders.: Antisemitismus. Geschichte, Theorie, Empirie, Baden-Baden, S. 11-23

Schmiedinger, Thomas (2008): Zur Islamisierung des Antisemitismus, in: Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes (Hrsg.): Jahrbuch 2008. Schwerpunkt Antisemitismus, Wien, S. 103-139

Weinstock, Nathan (2019): Der zerrissene Faden. Wie die arabische Welt ihre Juden verlor. 1947-1967, Freiburg


  1. »This is an enduring war that will never end, because the Jews want no more no less than to exterminate the religion of Islam ... Since Islam subdued them they are unforgiving and fight furiously through, conspiracies, intrigues, and also through proxies who act in the darkness against all what Islam incorporates.« (Qutb) ↩︎

  2. Artikel 7: »bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum dann sagen: Oh Muslim, oh Diener Gottes! Da ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn.«; Artikel 22: die Juden stünden »hinter dem Ersten Weltkrieg [...] und hinter dem Zweiten Weltkrieg« und die »Bildung der [...] Vereinten Nationen [...] anregten, um damit die Welt zu beherrschen.« ↩︎

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