Corona und Impfen
Die Corona-Pandemie trifft alle Menschen, wenn auch unterschiedlich hart. Manche müssen sich um ihr Leben fürchten, für andere sind Home Schooling, Homeoffice oder das Wegfallen von Partys und Treffen mit Freund_innen wegen der Kontaktbeschränkungen der größte Einschnitt. Die Besonderheit der Situation liegt in der Unsicherheit, wie gefährlich das Virus ist, wie dagegen vorzugehen ist und wie eigentlich die nächsten Monate aussehen werden.
Impfen gegen Antisemitismus?
Einfache Antworten auf diese schwierigen Fragen überschwemmten Social Media von Beginn an. Promis wie Xavier Naidoo1 oder Attila Hildmann fanden mit ihren Verschwörungserzählungen viel Gehör. Der schon häufig durch antisemitische Liedtexte aufgefallene Reichsbürger Naidoo unterstützt die QAnon-Bewegung und propagiert Ritualmordlegenden, hinter denen teuflische Mächte stehen würden. Diese Erzählung hat sich im letzten Jahrhundert immer gegen Juden_Jüdinnen gerichtet und kann auch heute noch so verstanden werden.
Hildmann, einst bekannt für seine Kochbücher, ließ kaum einen antisemitischen Verschwörungsmythos aus, von der Brunnenvergiftung bis zur jüdischen Weltverschwörung2. Dabei machte er erst »die Elite« als Feind aus, dann »die Kommunisten«, um mittlerweile gegen »die Zionisten« sowie »die Juden« zu hetzen.
Alleine sind die beiden leider nicht, Gruppen wie »Querdenken711«, »Corona-Rebellen« oder »Ärzte für Aufklärung« werben für ihre verschwörungsideologische Sache. Gemeinsam ist ihnen ein »Wir-gegen-die-Denken«, bei dem ein übermächtiges Feindbild aufgebaut wird, dem man Widerstand leisten müsse. Wortneuschöpfungen wie »Corona-Diktatur« oder »Plandemie« sollen deutlich machen, dass die Pandemie von bestimmten Gruppen geplant worden sei oder sie sogar nur erfunden wurde, um eine Diktatur zu errichten. Mit diesen Gruppen sind letztlich Juden_Jüdinnen gemeint.
Schilder auf Demonstrationen, die die »Rothschilds«, eine jüdische Bankiersfamilie, oder den jüdischen Investor George Soros hinter den Maßnahmen vermuten, bekräftigen das. Ihnen wird vorgeworfen, aus Profitgier und Bösartigkeit zu handeln, womit antisemitische Stereotype reproduziert werden.
Dieser Strukturelle Antisemitismus äußert sich am häufigsten in Gerüchten über Bill Gates. Unter Coronaleugner_innen ist die Idee beliebt, Bill Gates würde eine Zwangsimpfung einführen wollen, um damit Geld zu verdienen und nebenbei gleich noch den Geimpften heimlich einen Mikrochip einzusetzen, mit denen die Gedanken kontrolliert werden könnten. Als Opfer dieser angeblichen Verschwörung werden die Deutschen beziehungsweise »das Volk« ausgemacht.
Statt sich mit der eigenen Täter_innenschaft im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, sehen sich diese Leute nun selbst als Opfer, wobei die von ihnen ausgemachten Täter_innen jüdisch markiert werden. Die selbsternannten »Corona-Rebellen«, die sich bei Querdenken und ähnlichem versammeln, verharmlosen dabei kontinuierlich den Holocaust und das NS-Regime. Juden_Jüdinnen wird eine (Mit-)Schuld an den Freiheitseinschränkungen durch die Maßnahmen gegen die Pandemie gegeben und gleichzeitig ein Handeln unterstellt, das dem nationalsozialistischen Regime gleichkäme.
Gesundheitspolitische Maßnahmen werden als »Ermächtigungsgesetz« beschrieben, in Anlehnung an das gleichnamige Gesetz der Nazis, das ihre Diktatur rechtlich legitimierte. Demonstrationsteilnehmer_innen kleben sich gelbe Sterne mit der Aufschrift »ungeimpft« an, die an Judensterne erinnern sollen3. Eine »Querdenkerin« verglich sich sogar mit Sophie Scholl4.
Die AfD Salzgitter sorgte durch einen Twitter-Post für Empörung, auf dem sie das Tor der Gedenkstätte des KZ Dachaus mit der Inschrift »Impfen macht frei« abwandelten5. All diese Beispiele stellen eine Verharmlosung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik dar.
Das Thema Impfen spielt nicht zufällig eine große Rolle bei den Protesten. Dahinter steht der völkische und menschenfeindliche Gedanke, dass der (Volks-)Körper Krankheiten überstehen muss und dadurch seine Stärke beweist. Im Klartext heißt das, dass »Schwache« keinen Platz in der Gesellschaft hätten.
Dieses sozialdarwinistische Weltbild hat zuletzt in den 1980er Jahren während der HIV/Aids-Epidemie zur Hetze gegen Homosexuelle und Drogenkonsument_innen beigetragen, hat seinen Ursprung aber schon deutlich früher. Im Jahr 1874, kurz nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs, wurde die Pflicht zur Pockenimpfung eingeführt. Das rief Impfgegner_innen auf den Plan, die allerdings erst nach der erfolgreichen Impfkampagne an Fahrtwind aufnahmen.
Schon früh vermischten sich antisemitische Argumentationen mit der Ablehnung von Impfungen. 1881 erklärte der nationalsozialistische Vordenker Eugen Dühring in seinem Buch »Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage«, dass Juden_Jüdinnen die Presse beherrschen würden und für die Impfpflicht verantwortlich seien.6 Er unterstellt außerdem, dass Juden_Jüdinnen die Impfpflicht aus finanziellen Interessen eingeführt hätten. In der antisemitischen Zeitschrift »Der Hammer« wird 1911 Juden_Jüdinnen unterstellt, dass jüdische Ärzte Nichtjuden impfen wollen, um »unser Blut zu verderben und unsere Rasse zu vernichten«.
Während des Nationalsozialismus druckte die Propaganda-Zeitung »Der Stürmer« später eine Karikatur ab, auf der eine blonde Frau mit Kind zu sehen ist, die einem Arzt gegenüberstehen, der durch antisemitischen Stereotypen als jüdisch dargestellt wird. Die Bildunterschrift lautet »Es ist mir sonderbar zumut, Gift und Jud‘ tut selten gut«7. Die antisemitischen Mythen, Jüdinnen_Juden würden über die Presse bestimmen und Impfungen würden aus finanziellem Interesse von ihnen gefordert werden, tauchen auch im Rahmen der aktuellen Corona-Proteste auf.
Die Corona-Pandemie ruft viele antisemitische Verschwörungsmythen auf den Plan, die schon seit langer Zeit existieren. Spätestens der Versuch, den Reichstag mit Reichsflaggen zu besetzen, macht die Gefährlichkeit deutlich. Die wissenschaftsfeindliche Ablehnung von Impfungen, die sich auf solche Mythen beruft, stellt außerdem eine Gefahr für die Gesellschaft dar, die auf eine erfolgreiche Bekämpfung des Virus angewiesen ist.
https://www.volksverpetzer.de/analyse/attila-antisemitismus/ ↩︎
Bundesverband der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus. (2020). Antisemitismus im Kontext der Covid-19-Pandemie. Berlin. ↩︎
https://www.sueddeutsche.de/politik/hannover-sophie-scholl-querdenken-coronavirus-1.5123595 ↩︎
https://twitter.com/report_antisem/status/1327561187685523461?lang=de ↩︎
Dühring, E. (1881). Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage: mit einer weltgeschichtlichen Antwort. Karlsruhe: Reuther. ↩︎
Hier ist das Bild in einem Zeitungsartikel zu sehen: https://www.derstandard.de/story/2000117681081/impfgegner-sind-wie-alkolenker-verantwortungslos ↩︎