Antisemitismus und Antifeminismus
Der Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Antifeminismus wird in verschiedenen Studien auf der Einstellungsebene bereits seit Jahren untersucht. Dabei zeigt sich, dass bei den meisten Personen mit antisemitischen Einstellungen auch antifeministisches Denken vorhanden ist.
Ein Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Antifeminismus findet sich aber nicht nur auf der Einstellungsebene, sondern auch im antisemitischen Denken an sich. Hier gibt es mehrere Stereotype, die im Zusammenhang mit Sexualität stehen. So ist es ein typisches antisemitisches Stereotyp, dass Jüdinnen_Juden eine angeblich übersteigerte Sexualität haben. Es findet sich in der antisemitischen Rede von »jüdischen Vergewaltigern« und »Rassenschändern« wieder. Es geht darum, Jüdinnen_Juden als eine Bedrohung für das »deutsche« Blut darzustellen.1 Das ist auch ein Element antisemitischer Verschwörungserzählungen. Jüdinnen_Juden wird vorgeworfen, das »deutsche Volk« zerstören zu wollen, indem sie deren Blut durch sexuelle Intimitäten vergiften.
Gleichzeitig gibt es einen verschwörungsideologischen Antifeminismus, indem antisemitische und antifeministische Erklärungsmuster zusammenlaufen, wie an Begriffen wie »Genderlobby« deutlich wird.2 Dieser Begriff setzt sich aus der antifeministischen »Gender-Ideologie« und der antisemitischen »jüdischen Lobby« zusammen: Der angeblich von Feminist_innen verbreiteten »Gender-Ideologie«, wird unterstellt, dass diese gesellschaftlich verordnet sei und zu einer Ungleichheit von Männern führe. Diese kollektive Verordnung wird angeblich von Lobbygruppen herbeigeführt.3 Das antisemitische Bild der »jüdischen Lobby« bezieht sich auf das Motiv des »Strippenziehers« und der »jüdischen Weltverschwörung«, die die Politik mit Geld und Macht beeinflussen würden.
Eine Verschwörungsideologie behauptet sogar, der Feminismus sei letztlich nur ein propagandistischer Trick, der z. B. deutsche Frauen davon abbringen soll, Kinder zu bekommen und damit den Fortbestand der »Volksgemeinschaft« zu sichern. Die weibliche Emanzipation sei damit kein Weg zur Gleichberechtigung, sondern ein Instrument feindlicher Mächte, um am Ende einen Niedergang bestimmter Völker zu bewirken.
Historisch sind einige antisemitische Stereotype gewachsen, in denen die »Grenzen« zwischen den Geschlechtern verschwimmen. Im antisemitischen Denken wird das Weibliche abgewertet. Auch im Antifeminismus wird Weiblichkeit mit negativen Eigenschaften in Verbindung gebracht oder »Mädchen/Frau« direkt als Beleidigung verwendet.
Männlichen Juden werden als »verweiblicht« geltende Charakteristika zugewiesen, wie z.B. ein schmächtiger und zarter Körperbau und eine angebliche Anfälligkeit für Nasenbluten, die das Klischee vom »menstruierenden Juden« hervorgebracht hat.
Jüdischen Frauen hingegen werden »männliche« Charaktereigenschaften zugeschrieben. So wird zum Beispiel behauptet, sie würden unangenehm riechen, seien adipös, forsch, dominant und hässlich.4 Auch wenn diese Behauptungen nicht direkt immer so geäußert werden, kriegen gerade junge jüdische Frauen häufig Sätze zu hören wie »Du bist aber zu schön, um Jüdin zu sein« oder »Für eine Jüdin siehst du aber gut aus«.
Dies führt dazu, dass Jüdinnen_Juden eine »unnatürliche« Umkehrung der Geschlechterrollen zugeschrieben wird. Dies führt in einer heteronormativ geprägten Gesellschaft zu Ekel und Abscheu.5 Heteronormativität ist die Einstellung einer Gesellschaft, in der eine binäre Geschlechterordnung gilt: Menschen seien entweder männlich oder weiblich und den beiden Geschlechtern werden unterschiedliche Charaktereigenschaften zugeschrieben. Sexuelle und romantische Beziehungen unter Heteropaaren gelten als Norm. Alle Abweichungen davon werden oft diskriminiert.
Gleichzeitig gibt es auch das Bild der »schönen Jüdin«. Das vermeintlich positive Bild spricht jedoch Jüdinnen eine erotisierende und stigmatisierende Kategorie zu und macht sie gleichsam zu einer »fremden« erotischen Projektionsfläche.6
Im Antisemitismus sowie im Antifeminismus werden Bilder vom »Eigenen« und vom »Fremden« entworfen. Jüdinnen_Juden wird eine Zwischenrolle zugeschrieben. Antisemit_innen sind besonders um die Wahrung von Grenzen bemüht – sowohl im nationalen als auch im sexuellen Kontext – und kommen nicht über ein starres und binäres Denken hinaus.
Jüdinnen_Juden hingegen fallen im antisemitischen Denken nicht nur im sexuellen Kontext aus dieser Binarität heraus, sondern auch in Bezug auf Nation – denn sie werden weder der eigenen Nation noch einer fremden Nation zugeordnet, sondern als »wurzellos« bezeichnet. Dies führt auch dazu, dass Antisemit_innen Angst davor haben, ihr einheitliches Kollektiv aufgelöst zu sehen7 – dasselbe gilt für Antifeminist_innen.
AG Genderkiller: Antisemitismus und Geschlecht. Von »effeminierten Juden«, »maskulinisierten Jüdinnen« und anderen Geschlechterbildern Killer 2005 ↩︎
Oliver Decker, Elmar Brähler (Hg.): Autoritäre Dynamiken Neue Radikalität – alte Ressentiments Leipziger Autoritarismus Studie 2020 ↩︎
Sabine Hark/Paula-Irene Villa (Hrsg.), (Anti-)Genderismus, Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, 2015 ↩︎
Klaus Hödl: Die Pathologisierung des jüdischen Körpers, 1997 ↩︎
AG Genderkiller: Antisemitismus und Geschlecht. Von »effeminierten Juden«, »maskulinisierten Jüdinnen« und anderen Geschlechterbildern Killer 2005 ↩︎
Petra Feldmann: »Die ›Schöne Jüdin‹. Jüdische (Geistes-)Schönheit zwischen erotisierter Begierde und antijüdischer Abwehr als exemplarisches Phänomen einer Legitimierung hegemonialer Wahrnehmungsordnungen«. In: Nebulosa – Zeitschrift für Sichtbarkeit und Sozialität, 01/2012 (Hefttitel »Wahrnehmung und Erscheinen«), S. 105-120. ↩︎
Karin Stögner: Antisemitismus und Sexismus. Historisch-gesellschaftliche Konstellationen, 2014 ↩︎