Antisemitismus in der Sprache
Zweitausend Jahre antisemitische Zerrbilder und Denkweisen haben Spuren in unserer Gesellschaft und in unserer Sprache hinterlassen. So kommt es, dass sich in unserer Alltagssprache Begriffe und Redewendungen wiederfinden, die eine Abwertung von Jüdinnen_Juden beinhalten. Oftmals ist den sprechenden Personen der diskriminierende Gehalt ihrer Sprache aber gar nicht bewusst. Dennoch fühlen sich Juden_Jüdinnen durch Sprache mit antisemitischen Inhalten abgewertet und deshalb sollten wir darauf achten, was wir sagen.
In diesem Beitrag geht es also nicht um die Ansichten und Aussagen von Rechtsradikalen, die absichtlich und in vollem Bewusstsein ihren Hass gegen Juden_Jüdinnen zum Ausdruck bringen, sondern darum, wie alte antisemitische Bilder unsere Sprache formen und so Einzug in unser aller Alltag finden. Oftmals ist der Hass gegen Juden_Jüdinnen in unserer Alltagssprache nicht so leicht auszumachen und äußert sich unterschwellig. Es lohnt sich deshalb einen Blick auf unsere Alltagssprache werfen:
In unserer heutigen deutschen Sprache lassen sich viele jiddische Worte und Ausdrücke entdecken. Einige sind im Alltag weit verbreitet, da wird Tacheles geredet. Oder ist das alles doch nicht ganz koscher?
Keine andere Sprache ist dem Deutschen ähnlicher als das Jiddisch. Jiddisch ist kein Dialekt, sondern eine eigene Sprache, die entstand als im 13. Jahrhundert eine große Gruppe deutscher Juden_Jüdinnen auf Grund von Pogromen, Diskriminierung und Verfolgung in das benachbarte Polen floh. Jiddisch ist voll von Worten, die aus dem Hebräischen stammen und grammatikalisch stark durch die slawischen Sprachen beeinflusst1.
Tacheles reden wird synonym zu Klartext reden verwendet. Es stammt vom hebräischen Wort tachlit ab, was so viel bedeutet wie Ziel oder der Kern der Sache. Koscher dagegen bezeichnet im Jiddischen schlichtweg ordentlich oder auch in Ordnung sein. Ähnlich stark in den deutschen Sprachgebrauch übernommen ist das Wort meschugge, vergleichbar mit dem englischen crazy. Es meint verrückt und wird so auch sinngemäß eingesetzt: »Ich bin doch nicht meschugge!«. Die Bedeutung des jiddischen Ausdrucks »Du hast eine Macke« ist ebenfalls allgemein bekannt. Macke kommt vom hebräischen maka, was mit Plage oder Hieb übersetzt wird. Schlamassel dagegen ist eine Wortkombination des deutschen schlimm und des hebräischen masal, das mit Glück übersetzt wird. Die Verwendung des Wortes zum Beispiel durch den Ausspruch »Was ein Schlamassel!« erscheint uns so natürlich, dass dessen jiddischer Ursprung den meisten Menschen unbekannt bleibt. Ähnlich verhält es sich mit Schmusen (liebkosen), Zores (Ärger) und dem Kaff (Dorf)2. All diese Worte sind sinngemäß aus dem Jiddischen übernommen, das bedeutet sie werden im Jiddischen und im Deutschen auf die gleiche Art und Weise verwendet. Daher ist es völlig unproblematisch sie zu benutzen.
Allerdings gibt es auch viele Worte, die den Weg in unsere Alltagssprache gefunden haben, denen der Antisemitismus in Form von uralten Stereotypen wortwörtlich eingeschrieben ist. Das Verb schachern zum Beispiel wird im Deutschen verwendet, um übles Feilschen und Geschäfte machen auszudrücken. »Es wird um den Parteivorsitz geschachert.« habt ihr vielleicht schon mal in den Nachrichten gehört. Schachern ist zurückzuführen auf das jiddische sachern, was schlichtweg Handel treiben bedeutet. Im Jiddischen ist der Gebrauch des Wortes völlig wertneutral. Einen negativen Unterton erhielt das Wort erst, als es in den deutschen Wortschatz übernommen wurde. Wird im Deutschen Handel treiben durch schachern ersetzt, so verändert sich der Ton und Sinngehalt des Gesagten stark. Daher wird es auch nur dann gebraucht, wenn ausgedrückt werden soll, dass es sich um etwas Verwerfliches oder Undurchsichtiges handelt. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem jiddischen Wort Mischpoke. Mischpoke bedeutet im hebräischen Familie. Wenn eine deutschsprachige Person das Wort Familie mit dem Wort Mischpoke ersetzt, dann tut sie das, weil Mischpoke im Deutschen ein anderer Klang anhaftet. Es schwingt eine stark negative Konnotation mit die wiederum eher mit »Sippschaft« oder »verschworene Gruppe« in Verbindung gebracht wird. Das bedeutet, Mischpoke wird nicht in dem gleichen Sinne wie im Jiddischen verwendet, sondern stark negativ aufgeladen.
Etwas anders steht es um das Verb mauscheln. Es kommt von Mauschel, der jiddischen Variante des Vornamen Moses, der verwendet wurde, um arme Juden oder jüdische Händler_innen zu bezeichnen. Er existierte im Deutschen ausschließlich als Spottname und Beleidigung. Das heißt mauscheln wird mit »reden wie ein Jude« übersetzt3 und im heutigen Sprachgebrauch eingesetzt, wenn deutlich werden soll, dass geheime Absprachen getroffen werden. Die Wortschöpfung ist daher in sich bereits antisemitisch und kein jiddisches Lehnwort, welches im Deutschen eine negative Umdeutung erfahren hat. Die Liste dieser Worte wäre lange fortzusetzen und unsere Alltagssprache ist voll von jiddischen Ausdrücken. Deshalb müssen wir genau hinschauen, welche Funktion ein Wort übernimmt. Wird es ausschließlich dazu genutzt, um negative Vorstellungen zu transportieren, müssen wir aufhorchen.
Es wird deutlich, dass Sprache antisemitisches Gedankengut transportieren kann. Antisemitismus hat über die Jahrhunderte Spuren in unserer Sprache hinterlassen. Einerseits ist antisemitische Sprache das Resultat bereits bestehender Diskriminierung und andererseits verfestigt sie diese und führt sie weiter fort. Deshalb ist es wichtig darauf zu achten, eine Sprache zu verwenden, die andere Menschen nicht verletzt, ausgrenzt und ihnen negative Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften unterstellt.
Steinke, Ronen (2020): Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt, Berlin: Dudenverlag ↩︎
Steinke, Ronen (2020): Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt, Berlin: Dudenverlag ↩︎
Steinke, Ronen (2020): Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt, Berlin: Dudenverlag ↩︎