Antisemitismus im Fußball
Den eigenen Antisemitismus versteckt man heutzutage gerne – etwa hinter einer vermeintlichen Israelkritik oder indem er schlicht abgestritten wird. Wer will sich schon als Nazi bezeichnen lassen oder gleich Ärger mit dem Gesetz bekommen?
Dieses Abstreiten und Leugnen ist auch im Sport weit verbreitet, obwohl hier der Hass gegen Jüdinnen_Juden auch ganz offen ausgesprochen wird. Das gilt besonders für den Fußball. Schon mal mitbekommen, dass jemand vom Spielfeldrand »ihr Juden!« gebrüllt hat? In den Stadien und auf den Fußballplätzen findet man das jedes Wochenende.
Als Täter_innen tun sich häufig Ultra-Gruppen hervor. Aber auch von weniger engagierte Fans fallen mit judenfeindlichen Sprüchen auf. Beschimpfung dieser Art sind im Fußball weit verbreitet. Und häufig wird ihnen mit stiller Akzeptanz begegnet.
Die angeheizte Stimmung scheint dabei den sonst so gut versteckten Antisemitismus hervorzulocken. Es sind nicht selten die bereits verfeindeten Fangemeinschaften rivalisierender Vereine, die auffallen: Teams aus Frankfurt werden von einigen Fans der Offenbacher Kickers gerne als »Judenschweine« beschimpft.1 Den Fans der Frankfurter Eintracht wurde aus der Kickersfankurve auch schon »Zyklon B für die SGE« zugerufen (Zyklon B war der Markenname des Gases, das in Auschwitz zur Ermordung verwendet wurde).2 Das Problem findet sich auf west- wie auf ostdeutschem Fußball-Rasen gleichermaßen: Fans von Energie Cottbus sind dahingehend ebenso auffällig wie Fans von Alemannia Aachen oder Borussia Dortmund.3
Im italienischen Fußball erlangte vor kurzem ein Fall internationale Aufmerksamkeit: Einige Ultras von Lazio Rom produzierten Sticker, die die ermordete Jüdin Anne Frank im Trikot des verhassten Clubs AS Rom zeigten. Auf anderen Aufklebern prangte der Spruch »Romanista Ebreo« (»AS Rom Fans sind Juden«).4 Die Spieler zeigten dann allerdings Haltung: An einem Spieltag traten die Teams der ersten italienischen Liga geschlossen in Shirts mit einem Portrait von Anne Frank auf. Sie trugen auch den Slogan »Nein zu Antisemitismus«.
Die antisemitische Aktion hatte da bereits Nachahmer_innen gefunden: Fans der Borussia Dortmund stellten auf Stickern Anne Frank im Trikot von Schalke 04 dar.
Dabei fällt ins Auge: Die verunglimpften Vereine müssen überhaupt nicht jüdisch sein. Die Beleidigungen müssen sich nicht gegen jüdische Fussballer_innen richten. Sind sie deswegen gar nicht vom Hass auf die Jüdinnen_Juden motiviert? Schließlich beleidigt man die Gegner gerne mit allem Möglichen. Und da trifft »Jude« eben.
Aber: Sie sind deswegen nicht weniger feindselig gegen Jüdinnen_Juden. Die Beleidigungen dienen einer krassen Herabwürdigung des Gegners. Dass ihre Gegner Jüdinnen_Juden sein sollen, ist für viele Fans die größte Schande. In völliger Missachtung der Ermordung von Jüdinnen_Juden wird gegrölt, dass der Gegner genauso verabscheuungswürdig ist wie Jüdinnen_Juden es im antisemitischen Denken sind. Das bringt auch das in Fußballstadien beliebte U-Bahn-Lied zum Ausdruck: Hier wird dem Gegner gedroht, eine U-Bahn nach Auschwitz zu bauen.
Beliebt ist dieses Mittel gerade dann, wenn als links bekannte Vereine zu Gast sind. Babelsberg 03 hat etwa eine antifaschistische Fanszene. Von rechten Fans werden diese deswegen immer wieder als Juden beschimpft und im Anschluss an Spiele auch mal tätlich angegriffen.
Weniger offensichtlich antisemitisch ist die Kritik an reichen Vereinen: Diesen wird häufig unterstellt, hinter ihnen stehe jüdisches Geld. In Deutschland ist der Verein RB Leipzig so ein Beispiel: Mit viel Geld hat der Konzern Red Bull diesen Fußballverein großgemacht. Das ist für viele Fans Anlass genug, RB Leipzig als »traditionslosen Judenverein« zu beschimpfen.
Antisemitismus gibt es nicht nur im Profifußball. Er ist da nur am besten dokumentiert. Weniger bekannt ist, was den jüdischen Maccabi-Vereinen in Deutschland bei ihren Spielen und Wettbewerben passiert. Deren Spieler und Fans erfahren regelmäßig Anfeindungen. Manche Spiele finden dann mit Polizeischutz statt. Sie werden den häufig auch als israelische Mannschaften wahrgenommen und deswegen bei ihren Spielen z. B. gerne mit Palästina-Fahnen begrüßt. Von solchen Erfahrungen erzählt zum Beispiel Roman Zurek, der ehemalige sportliche Leiter von Makkabi Frankfurt: »Es gibt Gegner, die sehen den Davidstern auf unserem Trikot und meinen, sie spielen gegen Israel.«5
Das lassen die Maccabi-Vereine aber nicht auf sich sitzen. In der Vergangenheit haben Sie häufig Beschwerde eingelegt. Das hat ihre Situation allerdings nicht nur verbessert, sondern auch zu mehr Ausgrenzung geführt: Fans und Angehörige anderer Vereine betrachten sie nicht selten als bevorzugt und als meckernd oder sogar als arrogant. Ein gutes Beispiel dafür, dass, wer Diskriminierung erfährt, häufig noch ein zweites Mal eins draufkriegt.
Inzwischen gehen sie auch einen anderen Weg und sprechen mit Gegnern schon im Vorfeld über Maßnahmen. Aber auch unter den Fans finden sich viele, die den Antisemitismus nicht mehr ertragen wollen: Es gründen sich immer wieder Fangruppen gegen Antisemitismus.6 Fangruppen von Bayern München erinnern inzwischen regelmäßig an den alten jüdischen Vereinspräsidenten, Kurt Landauer. Auch um zu unterstreichen, dass Jüdinnen_Juden schon immer präsent im Fußballgeschehen waren.
Das zeigt: Antisemitismus ist im Fußball weit verbreitet, aber er wird auch längst nicht von allen geteilt. Schon gar nicht darf er unwidersprochen bleiben.
Offenbach Post Online (2018): Antisemitische Rufe: Ermittlungen gegen OFC-Fans, in: https://www.op-online.de/sport/kickers-offenbach/ermittlungen-gegen-fans-kickers-offenbach-nach-antisemitischen-rufen-9520180.html ↩︎
Spiegel Online (2013): Offenbach verhängt Stadionverbot gegen antisemitische Fans, in: https://www.spiegel.de/sport/fussball/kickers-offenbach-geht-gegen-antisemitische-anhaenger-vor-a-922763.html ↩︎
Florian Schubert (2019): Antisemitismus im Fußball, Wallstein Verlag. ↩︎
Jungle World (2018): Antisemitischer Furor in den Stadien, in: https://jungle.world/artikel/2018/04/antisemitischer-furor-den-stadien ↩︎
Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus (2017): Antisemitismus in Deutschland – Aktuelle Entwicklungen, S. 255, in: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/heimat-integration/expertenkreis-antisemitismus/expertenbericht-antisemitismus-in-deutschland.pdf ↩︎
Belltower News: Sächsischer Förderpreis für Demokratie Nominiert: Die Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport Fußball, in: https://www.belltower.news/saechsischer-foerderpreis-fuer-demokratie-nominiert-die-initiative-fuer-mehr-gesellschaftliche-verantwortung-im-breitensport-fussball-105843/ ↩︎