Antijudaismus
Als Antijudaismus bezeichnet man die Ablehnung des Judentums als religiöse Gemeinschaft. Er ist wesentlich älter als der Antisemitismus und lässt sich schon in der Spätantike finden.
Die jüdische Bevölkerung des historischen Israels hatte sich immer wieder gegen die römische Herrschaft erhoben. Den römischen Herrschern waren Juden_Jüdinnen verdächtig, da sie als einzige Gruppe im Reich aus religiösen Gründen nicht dem römischen Staatskult huldigten und so z.B. den römischen Kaiser nicht als Gott verehrten. Es kam zudem zu zahlreichen Aufständen gegen die römische Oberherrschaft. 135 n. Chr. wurde der letzte dieser Aufstände niedergeschlagen. Ein Großteil der Juden_Jüdinnen wurde daraufhin vertrieben. So kam es zur sogenannten »Diaspora«: Juden_Jüdinnen waren nun über die ganze damals bekannte Welt verteilt und bildeten stets eine Minderheit in christlichen oder islamischen Gesellschaften.
In der Antike veränderte sich auch das frühe Christentum: Während zunächst nur Juden_Jüdinnen zu Christ_innen wurden, traten zunehmend Anhänger_innen anderer Religionen zum Christentum über. Das Christentum wandelte sich so von einer kleinen Gruppe innerhalb des Judentums zu einer eigenen Religion. Juden_Jüdinnen wurden nun auch zunehmend für den Tod Jesu verantwortlich gemacht, was als ein Grundmotiv des Antijudaismus gilt.
Bis ins späte Mittelalter lebten christliche und jüdische Bewohner_innen einer Stadt nicht getrennt voneinander. Lediglich bestimmte religiöse Anforderungen (z.B. die Nähe zur Synagoge, der Zugang zu kosherem Fleisch etc.) führten dazu, dass sich in vielen Orten jüdische Viertel herausbildeten. In vielen Siedlungen mussten die jüdische Bevölkerung jedoch besondere Kleidung wie Spitzhüte oder Abzeichen wie gelbe Kreise tragen, um für alle erkennbar zu sein – ein Brauch der im europäischen Mittelalter für viele Bevölkerungsgruppen galt, die als »unehrenhaft« angesehen wurden.
Im Heiligen Römischen Reich galten Jüdinnen_Juden als »Kammerknechte«. Das bedeutet, dass sie zwar offiziell unter dem Schutz des Kaisers standen, dafür aber auch eine Sondersteuer zu zahlen hatten. Zwangstaufen und Gewalt gegenüber Juden_Jüdinnen wurde durch dieses kaiserliche Privileg streng verboten. In der Praxis kamen die Herrscher ihrer Schutzfunktion jedoch nur selten nach. Oft wurden ganze Gemeinden an Untertanen, wie Fürsten und Bischöfe, verpfändet, um sich deren Gefolgschaft zu sichern – Menschen wurden so zum Tauschmittel. In extremen Fällen wurde sogar die Ermordung von Juden_Jüdinnen mit einkalkuliert, um anschließend ihre Besitztümer zu verkaufen. So passierte es z.B. 1349 in Nürnberg und wohl auch in Frankfurt am Main.
Mit der Wende zum Hochmittelalter (ab ca. 1066) wurden Jüdinnen_Juden von fast allen Handwerksberufen ausgeschlossen, sei es durch ein offizielles Verbot oder weil die städtischen Handwerksgilden keine Juden aufnahmen. Das kam einem Berufsverbot gleich. So blieben nur Gewerbe wie Handel oder Geldleihe, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Aus diesem Grund wurden sie zunehmend mit Geld in Verbindung gebracht. Auch die Tatsache, dass viele Angehörige der christlichen Bevölkerungsmehrheit nur Kontakt zur jüdischen Gemeinde hatten, wenn sie sich Geld leihen mussten, verstärkte dieses Bild.
In der Bevölkerung waren bestimmte Mythen über Juden_Jüdinnen verbreitet. Als 1348 und 1349 eine große Pestwelle mehr als die Hälfte der Einwohner Europas dahinraffte, wurden in vielen Orten Juden_Jüdinnen beschuldigt, sie hätten durch das Vergiften der Brunnen die Seuche verursacht. Weitere Verschwörungserzählungen drehten sich darum, dass sie das Blut christlicher Kinder trinken würden oder nachts heimlich in Kirchen einbrächen um wichtige religiöse Kultgegenstände zu »schänden«. Insbesondere in Krisenzeiten führten diese Zerrbilder zu Pogromen – gewalttätigen Übergriffen auf jüdische Gemeinden, bei denen nicht selten die komplette jüdische Bevölkerung ermordet wurde. So kam es während der erwähnten Pestepidemie in ganz Europa zu zahlreichen Angriffen, wobei in vielen Städten die komplette jüdische Gemeinde zwangsgetauft, vertrieben oder getötet wurde.
Auch das späte Mittelalter und die Neuzeit brachten keine Verbesserung. Weiterhin kam es zu Pogromen und manche europäischen Reiche vertrieben ihre jüdische Bevölkerung sogar vollständig (z.B. Spanien und England), sofern sie sich nicht zwangstaufen ließ. Andernorts wurden Juden_Jüdinnen gezwungen, in abgetrennten Vierteln zu leben, die sie oft nach Einbruch der Dunkelheit oder an christlichen Feiertagen nicht verlassen durften. So zum Beispiel in der »Judengasse« in Frankfurt am Main.
Durch die oben erwähnten Vertreibungen und Schutzgarantien der Herrscher hatte sich bis ins 19. Jahrhundert in Osteuropa (damals primär das russische Zarenreich) eine große jüdische Bevölkerungsgruppe gebildet, die aber in der Regel separat von der christlichen Bevölkerung lebte (sogenannte »Städl«) und immer wieder Ziel von gewaltsamen Übergriffen wurde. In Europa nahmen zwar die gewalttätigen Übergriffe in der gleichen Zeit ab, aber eine rechtliche Gleichstellung erhielt die jüdische Bevölkerung oft erst im Laufe des späten 19. und 20. Jahrhunderts (z.B. 1871 im Deutschen Kaiserreich).
Zahlreiche antijudaistische Erzählungen wurden modernisiert und finden sich im Antisemitismus wieder: So gibt es z.B. die Erzählung der angeblich jüdischen Brunnenvergiftung auch noch heute im Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen oder im israelbezogenen Antisemitismus. Der Zwang zu Geldwirtschaft im Mittelalter führte dazu, dass Juden_Jüdinnen als gierig dargestellt und mit Geld in Verbindung gebracht werden. Im Antisemitismus besteht diese Gleichsetzung fort: Juden_Jüdinnen werden oft als reich und machtvoll beschrieben und können mit ihrem Vermögen ganze Staaten die Krise stürzen (z.B. der Mythos der jüdischen »Ostküste«).