Gott ist tot, und wer ist schuld? Die Legende vom Gottesmord
Der Vorwurf, Juden_Jüdinnen wären schuld an der Ermordung von Jesus Christus, der als Sohn Gottes verstanden wird, spielt eine große Rolle bei der Diskriminierung und Verfolgung von Juden_Jüdinnen in der christlichen Geschichte. Konkret geht das auf die biblische Geschichte von Judas Iskariot zurück, einem Jünger Jesu, der diesen für 30 Silberstücke verraten haben soll. Dadurch hätten alle Juden_Jüdinnen eine für immer andauernde und unaufhebbare gemeinsame Schuld. Manchmal findet man in Kirchen oder in mittelalterlichen Büchern Darstellungen von Juden_Jüdinnen (teilweise erkennbar an spitzen Hüten), die einen gekreuzigten Jesus quälen. Diesem Motiv begegnet man nicht nur im Religionsunterricht, sondern auch in Serien und Filmen, z.B. Southpark.
Wo kommt es her, wann ist es entstanden und warum?
Die Schuld, die die christliche Gemeinschaft den Juden_Jüdinnen gibt, ist ein zentrales Moment des christlichen Antijudaismus. Man könnte sagen, dass sich beide Religionsgemeinschaften darum gestritten haben, welche von ihnen die auserwählte Gemeinschaft Gottes ist. Viele Christ_innen glauben, dass dies nach der Kreuzigung Jesu nicht mehr das Judentum, sondern das Christentum sei.
Was ist daran antisemitisch?
Der Vorwurf des Gottesmords richtete sich kollektiv gegen alle Juden_Jüdinnen. Alle Juden_Jüdinnen sollten zur Strafe für Jesus‘ Tod über die ganze Welt verstreut herumirren. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit rechtfertigte die christlichen Kirche damit die religiöse und soziale Diskriminierung, Unterdrückung und Verfolgung jüdischer Minderheiten. Durch den großen Einfluss der christlichen Kirche setzte sich das Motiv in dem Köpfen der Menschen fest und begünstigte den modernen Antisemitismus. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich die religiösen antijudaistischen Vorurteile gegenüber Juden_Jüdinnen zu rassistisch argumentierenden antisemitischen Vorurteilen.
Wie hat sich das Motiv weiterentwickelt?
Mit der Zeit veränderte sich die Relevanz der religiösen Komponente dieses Vorurteils. Im Nationalsozialismus wurde Hitler als Retter und Erlöser bezeichnet, der von Juden_Jüdinnen bedroht würde. Die Idee des Gottesmordes war für die Nazis nicht wichtig. Die meisten Christen hingegen rechtfertigten die Deportation und Ermordung der Juden_Jüdinnen sehr wohl mit der vermeintlichen Schuld des Gottesmordes. Es gab einige wenige Christen, die Nächstenliebe wichtiger fanden, aber diese waren in der Minderheit. Als der Vatikan vom Holocaust erfuhr, rechtfertige sogar Papst Pius XII dies mit dem Gottesmord. Bis heute gibt es viele Christ_innen unterschiedlicher Konfessionen, die glauben, dass die Juden_Jüdinnen schuld am Tod von Jesus sind.
Wo tauchen diese Narrative und Motive heute auf?
In der jüngsten Vergangenheit geht es nicht mehr um die vermeintliche Schuld der Juden_Jüdinnen am Tod von Jesus schuld. Vielmehr wird Juden_Jüdinnen ein Interesse an der Ermordung oder Auslöschung der christlichen Völker unterstellt. Auch Verschwörungserzählungen docken an diese Idee an. Manchmal geht es auch um die Auslöschung anderer Völker (dann werden Juden_Jüdinnen als Kriegstreiber_innen bezeichnet), manchmal wird aber auch von einem kulturellen Mord gesprochen. Juden_Jüdinnen würden deshalb das Fernsehen und Internet beherrschen und darüber bestimmen, was berichtet werden darf und was nicht.