Der Ewige Jude
Häufig sieht man einen Mann mit Stock, der allein wandert. Früher hatte der dargestellte Mensch oft überzeichnete stereotypische Eigenschaften wie z.B. eine große Nase oder einen Bart. Heutzutage wird aber viel häufiger einfach nur ein Jude dargestellt und das Bild wird dann mit dem Spruch »der ewige Jude« versehen. Auch dabei wird auf viele Vorurteile und Stereotype zurückgegriffen.
Wo kommt es her, wann ist es entstanden und warum?
Das Bild des »Ewigen Juden« entstand im frühen 13. Jahrhundert und hat seinen Ursprung in christlichen Sagen: Ein Schuster soll Jesus Christus auf dem Weg zu seiner Kreuzigung verboten haben, sich bei ihm auszuruhen. Zur Strafe wurde er von Jesus verflucht: Der Mann sollte nun ewig leben und leiden bzw. so lange, bis Jesus aufersteht. Im Jahr 1602 wurde das ›Volksbuch vom Ewigen Juden‹ veröffentlicht. Dort wurde aus dem Schuster ein Jude gemacht, der nun über die Jahrhunderte und Jahrtausende durch die Welt wandert und Zeugnis (also ein Bekenntnis) für Jesus und gegen »die Juden« ablegen muss. Mit der Veröffentlichung des Buches verbreitete sich die regionale Legende schnell in ganz Europa. Der Name des Menschen und die Geschichte wurden überall etwas geändert, aber bei allen bleibt gleich, dass der Mensch ein Jude war.
Wie hat sich das Motiv weiterentwickelt?
Als im 19. Jahrhundert in Deutschland die Diskussion aufkam, deutsche Juden_Jüdinnen gleichberechtigt zu behandeln, waren viele Menschen dagegen. Sie sagten, Gott habe die Juden_Jüdinnen als Strafe verstreut und zur Rastlosigkeit verurteilt. Ihr Leben sei daher mit ewigem Leid verbunden. Von diesem würden sie sich befreien wollen, indem sie sich mit anderen Völkern vermischen. Einerseits um selbst weniger jüdisch zu sein – aber auch um die anderen Völker auszulöschen. Sie dachten außerdem, Juden_Jüdinnen seien unheimlich, dekadent, fremd und nicht integrierbar und man könne ihnen nicht trauen.
Spätestens mit dem Nationalsozialismus verknüpfte sich das Bild des ›Ewigen‹ mit dem Bild des ›Parasitären Juden‹. Es wurde dazu sogar ein Propagandafilm von Nazis gedreht. In diesem Film wurde behauptet, dass die Juden freiwillig in Ghettos lebten. Tatsächlich wurden sie unter unmenschlichen Umständen dazu gezwungen.
Was ist daran antisemitisch?
Das Bild des »Ewigen Juden« vereint mehrere antisemitische Stereotype. Über die Zeit entwickelte sich das Bild von einem antijudaistischen zu einem antisemitischen Bild. Am Anfang war es eine göttliche Strafe gegenüber einem Menschen (der Schuster soll leiden und wandern). Später wurde daraus eine natürliche Eigenschaft, die angeblich alle Juden haben. So wurde aus einer Geschichte über Jesus eine Geschichte über »die Juden«. Nach dieser Geschichte sind weltweit alle Juden_Jüdinnen verflucht und müssen wandern. Dieser Fluch wirkt ewig. Demnach können Juden_Jüdinnen diese Eigenschaft niemals loswerden.
Wo taucht das heute auf?
Auch heute gibt es manchmal noch Anspielungen auf dieses Motiv, z.B. in Zeitungsüberschriften oder anderen Formulierungen, die das Wort »ewig« in Bezug auf einen Menschen, eine Gruppe oder eine Institution mit schlechten Eigenschaften verbinden. Selbst wenn die Inhalte nicht direkt als antisemitisch zu verstehen sind, weil es gar nicht um Juden_Jüdinnen geht, spielt die Formulierung auf das antisemitische Motiv an, dass eine Gruppe von Menschen auf ewig mit Schwäche und einem schlechten Charakter verbunden sei. Zum Beispiel spricht der Spiegel während der Corona-Krise vom »Dilemma des ewigen Ja-Sagers«. Der Artikel selbst kritisiert die EU-Bürokratie, doch die Formulierung ist zumindest streitbar, denn sie greift eine Formulierung auf, die im klassischen Antisemitismus tief verwurzelt ist.