Antisemitismus
WTF?

Die unterschätzte Treffsicherheit der »Antisemitismuskeule«

Die unterschätzte Treffsicherheit der »Antisemitismuskeule«

Zur Verteidigung antisemitischer Aussagen wird manchmal behauptet, es gäbe so etwas wie eine »Antisemitismuskeule«. Mit diesem Begriff werden diejenigen angegriffen, die den Antisemitismus benennen und bekämpfen. Sie würden überall Antisemitismus sehen, wo angeblich gar keiner ist. Der Vorwurf wird dann nicht ernstgenommen, denn wer eine Keule schwingt, kann womöglich gar nicht so genau zielen, sondern trifft einfach, was sich in seiner_ihrer Reichweite befindet. Außerdem ist eine Keule ja sowieso ein Werkzeug aus der Steinzeit und wer mit so etwas arbeitet, ist damit nicht auf der Höhe der Zeit.

Wo kommt es her, wann ist es entstanden und warum?

In Deutschland ist offener Antisemitismus seit dem Ende des Nationalsozialismus verpönt. Daher distanzieren sich viele vom Antisemitismus, selbst wenn sie sich antisemitisch äußern. Statt ihre eigenen Aussagen zu reflektieren, attackieren sie zum Beispiel mit dem Begriff der »Antisemitismuskeule« diejenigen, die den Antisemitismus thematisieren. Seit wann konkret von einer »Keule« gesprochen wird, lässt sich schwer sagen. In jedem Fall wurde die Formulierung im Jahre 1988 sehr bekannt, als der Schriftsteller Martin Walser in einer Rede Auschwitz als »Moralkeule« bezeichnete. Er behauptete, dass ständig von der Shoah gesprochen und diese benutzt werde, um Deutschland moralisch abzuwerten. Dieser schuldabwehrende Antisemitismus ist heute vor allem in rechtsextremen Kreisen sehr verbreitet.

Was ist daran antisemitisch?

Der Begriff der »Antisemitismuskeule« macht es sehr schwierig, Antisemitismus zu thematisieren und zu bekämpfen. Er lenkt von antisemitischen Inhalten ab und entzieht der Kritik am Antisemitismus die Daseinsberechtigung. Das kann dazu führen, dass Antisemitismus in der Gesellschaft immer mehr Akzeptanz bekommt und es immer schwieriger wird, gegen ihn vorzugehen. Deshalb ist es so gefährlich, von einer »Antisemitismuskeule« zu sprechen. Stattdessen müsste es viel mehr darum gehen, antisemitische Denkmuster und Aussagen zu hinterfragen und zu bekämpfen.

Wer sagt das heute?

Genau wie der Antisemitismus insgesamt, findet sich auch das Motiv der »Antisemitismuskeule« in vielen verschiedenen politischen Gruppen und Strömungen. Dazu zählen Anhänger_innen von Verschwörungserzählungen sowie linksautoritäre Strömungen oder rechte Parteien wie die AfD. Das oben erwähnte Beispiel Martin Walser zeigt, dass es aber auch in ganz anderen Kontexten auftritt. Auch antisemitische Ressentiments gegenüber Israel werden häufig mit einem Verweis auf die »Antisemitismuskeule« verteidigt.

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